StartStudien und ErfahrungsberichteÜberschussschlamm-Reduktion durch Tenside

Überschussschlamm-Reduktion durch Tenside

Neue Gesetzesvorhaben für Klärschlamm

Die neue Gesetzeslage erzwingt ein Umdenken in Sachen Klärschlamm. So zielt das Kreislaufvvirtschaftsund Abfallgesetz auf die Vermeidung von Klärschlamm.

Dr.-lng. Jörg STRUNKHEIDE

Jedes Jahr fallen in Deutschland rund 2,5 Mio. t Klärschlamm-Trockensubstanz aus Abwasserreinigungsprozessen an /1/. Dieser Schlamm wird zurzeit teils stofflich verwertet (Landwirtschaft, Kompostierung, Landschaftsbau, Rekultivierung), teils in Klärschlamm-, Müll- oder Braunkohlekraftwerken verbrannt oder teils nur entwässert auf Deponien abgelagert.

Klärschlammsituation
und Optimierungsansatz

Ab 2005 werden die gesetzlichen Vorgaben zur Klärschlammdeponierung nach der Technischen Anieitung Siedlungsabfall /2/ wirksam, die ein Verbot für die Deponierung von Abfällen mit einem Glühverlust> 5 Masse-% festlegen, das auch alle Klärschlämme betrifft. Dies führt für alle Schlämme zur relativ teuren Verbrennung als Vorbehandlung vor der Ablagerung. Auch die landwirtschaftliche Verwertung von Klärschlamm wird neue Vorschriften zur Verminderung von Krankheitserregern/Giftstoffen in der menschlichen Nahrungskette erhalten. In Bezug auf die landwirtschaftliche Klärschlammverwertung sieht auch der Neuentwurf der EU-Klärschlammrichtlinie von 1999 eine Verschärfung der Schadstoffgrenzwerte vor. Dies dürfte zu einer Anhebung der Kosten für diesen Verwertungsweg führen, der derzeit noch zu den günstigsten zählt.
Aus diesen Erkenntnissen resultiert, dass alle Verfahren, die den Anfall von Klärschlamm und damit die Belastung der Umwelt von vornherein reduzieren, auch unter Kostenaspekten günstige Auswirkungen haben können. Zudem entspricht dies den Vorgaben des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes /3/, das die Vermeidung vor die Verwertung und vor die Entsorgung von Abfällen gesetzt hat.

Bild 1: Tensid-Moleküle:
Sie bestehen aus lipophilem und hydrophilem Teil.

Zurzeit wird im Bereich Forschung und Entwicklung bei der Abwasserbeseitigung verstärkt an der Zielsetzung gearbeitet, den Klärschlammanfall sowohl im Belebtschlammverfahren und somit im Entstehungsprozess, als auch im Faulungsprozess zu reduzieren. Auf diese Weise kann schon im Vorfeld auf die Schlammbehandlungskette, die daraus resultierenden Reststoffmengen (Menge, Art und Beschaffenheit der Klärschlämme) und die Verwertungs- bzw. Entsorgungswege im Sinne einer deutlichen Kostenreduktion entscheidend Einfluss genommen werden. In der Praxis existieren verschiedene Möglichkeiten, um im Abwasserreinigungsprozess auf den Schlammanfall Einfluss zu nehmen /4/. Ein Verfahren ist hierbei das Bioserve-Verfahren, dessen Zielsetzung es ist, den Uberschussschlammanfall in kommunalen und industriellen Kläranlagen durch Einsatz von Tensiden zu reduzieren. Dieses Verfahren wird bereits auf einigen Kläranlagen erfolgreich eingesetzt, so dass entsprechende Betriebs-ergebnisse vorgelegt werden können.

Eigenschaften
der eingesetzten Tenside – LIPISOL

Die Einteilung in Tensidklassen
Der grundsätzliche Aufbau eines Tensid-Moleküls ist in Bild 1 dargestellt. Das Tensid-Molekül besteht somit aus einem hydrophilen (wasserliebenden) und einem lipophilen (fettliebenden) Teil. Die Einteilung der Tenside in Tensidklassen erfolgt nach der Ladung der hydrophilen Gruppe in anionische Tenside, kationische Tenside, amphotere Tenside und nichtionische Tenside.

Bild 2: Zellmembran:
Typischer Aufbau

Es scheint zunächst paradox zu sein, Tenside in die Kläranlage gezielt zu dosieren. Abwasser enthält bekanntlich bereits sehr viele Tenside aus Haushalts- und Industriereinigern. Die tensidische Wirkung der meisten großtechnisch in Wasch- und Reinigungsmitteln eingesetzten Tenside geht jedoch bereits nach einer Aufenthaltszeit von nur drei Stunden im Kanal oder in der Kläranlage verloren (Primärabbau) /5/. Die Einzelbestandteile der Tenside sind noch im Wasser enthalten, aber durch Abspaltung des lipophilen vom hydrophilen Molekülteil sind die typischen tensidischen Eigenschaften nicht mehr wirksam.

Wirkmechanismen der Tenside
Das beim Bioserve-Verfahren eingesetzte Produkt LIPISOL wird direkt in das Belebungsbecken dosiert. Es ist eine Mischung aus einem oder mehreren nichtionischen Tensiden.

Bild 3: Durch Tenside:
Dispergierung von Öltröpfchen

Die Zusammensetzung und -menge wird nach der jeweiligen Aufgabenstellung und Kläranlage variiert.
Die nichtionischen Tenside
• bestehen aus natürlichen Rohstoffen (tierische oder pflanzliche Fette, Stärke usw.)
• sind „leicht biologisch abbaubar“ nach OECD 301 A-F und
• werden in Kläranlagen hoch eliminiert und sind auch unter anaeroben Verhältnissen abbaubar.
Das Bioserve-Verfahren ist nicht auf die Hilfsstoffdosierung beschränkt. Es handelt sich um die Kombination
• einer für jede Kläranlage individuell angepassten Hilfsstoffdosierung und
• einer schrittweisen Verfahrensumstellung im Bereich des Schlammabzugsregimes.
In Bild 4 sind die elementaren Wirkmechanismen dargestellt, auf denen das Bioserve-Verfahren basiert. Diese werden nachfolgend erläutert.

Wirkmechanismus 1:
Herabsetzung des Zellmembran-Transportwiderstands durch Einlagerung von Tensid-Molekülen in die Zellmembran.

Die Zellmembran ist der äußere Abschluss des Zellinhalts jeder Zelle. Bei Pflanzen- und Bakterienzellen liegt ihr außen noch eine Zeliwand auf. Die Zell-membran ist als Doppelmembran ausgebildet. Alle Membranen bestehen aus Protein und Lipid (Phosphorlipid = Biotensid). Die Anteile der beiden Bestandteile variieren jedoch. Der grundsätzliche Aufbau einer Zellmembran ist in Bild 2 dargestellt. Dabei zeigt sich, dass die Lipide in einer Doppelschicht angeordnet und Proteine in verschiedenen Formen in die Membran eingelagert sind. Nach außen ragen die Fortsätze verschiedener Glycolipide und Lipoproteide.
Die Lipidmoleküle sind in Bild 2 als Kugeln mit meist 2 Schwänzen dargestellt.
Diese lagern sich so aneinander, dass die Kugeln eine Ebene bilden und die Schwänze senkrecht aus dieser Ebene herausstehen. Bei einer Doppelmembran sind die Schwänze einander zugerichtet. Die Kugeln bilden aufgrund der hydrophilen Eigenschaften immer den äußeren Abschluss.
Die beiden Schwänze stellen den hydrophoben T~i1 dar. Eine Membran ist demnach außen wasserlöslich und innen fett-löslich. Durch den Aufbau der Membran aus diesen speziellen Lipidmolekülen hat die Membran ganz bestimmte Permeabilitätseigenschaften. Allgemein gesagt ist sie semipermeabel, d. h. bestimmte Stoffe passieren die Membran, andere nicht. Typisch für die beim Bioserve-Verfahren eingesetzten Tenside ist, dass sie in Wechselwirkungen mit der Zellmembran der Abwasserbakterien treten. Die strukturellen Voraussetzungen sind bei der Zellmembran gegeben, wie oben beschrieben und in Bild 2 verdeutlicht.
Durch Adsorption bzw. Komplexbildung können Tenside die Struktur der Zellmembran verändern. Je nach Konzentration der eingesetzten Tenside kommt es zu einer Einlagerung der Tenside in die Membran und dadurch zu einem verringerten Transportwiderstand oder zu einer irreversiblen Schädigung der Zellmembran /6/. Das Bioserve-Verfahren nutzt diesen Effekt in kontrolliertem Umfang im Rahmen der Abwasser-reinigung, um eine Beschleunigung des biologischen Abbaus des Belebt-schlamms zu erzielen.

Tabelle1: Wirkmechanismus 2:
Koaleszenzhemmung der Luftblasen

In Bezug auf den eingeblasenen Sauerstoff im Belebungsbecken ist bekannt, dass Mikroorganismen nach /7/ in der Lage sind, sich auch direkt an Luftbläschen anzuschließen. Da Tenside /8, 9/ koaleszenzhemmend auf Luftblasen wirken, bleiben wesentlich mehr sehr kleine Blasen länger im Belebungsbecken und können so in Kontakt mit den Mikroorganismen treten. Dies führt zu einer deutlichen Verbesserung der Sauerstoffversorgung, die jedoch mit Sauerstoff-Messsonden nicht feststellbar ist, da die Konzentration an gelöstem Sauerstoff durch Tenside meist nicht erhöht wird.

Wirkmechanismus 3:
Dispergierung der nicht mischbaren Kohlenstoff-Verbindungen

Die Wirkung der im Rahmen des Bioserve-Verfahrens eingesetzten Tenside führt zu einer Dispergierung (Bild 3) der im Abwasser befindlichen, mit Wasser nicht mischbaren Kohlenstoffverbindungen (Fette). Durch die Dispersion dieser Stoffe in feinste Tröpfchen wird die Angriffsfläche für Mikroorganismen um ein Vielfaches erhöht. Diese können mit Hilfe der Tenside direkt über ihre Zellmembran mit den dispergierten Tröpfchen in Kontakt treten.

Wirkmechanismus 4:
Desintegration des Belebtschlamms an der Dosierstelle

Die relativ hohe Tensid-Konzentration an der Dosierstelle bewirkt bei einigen Zellen eine Zerstörung der Zeilmembran, so dass der Zellinhalt freigesetzt und als Substrat von den anderen Bakterien eliminiert wird.

Bild 4 Wirkmechanismen:
Übersicht zum Bioserve-Verfahren

Schneller Abbau der Abwasserinhaltsstoffe
In der Summe führen die oben genannten Wirkmechanismen der Tenside zu
einem weitergehenden und schnelleren Abbau der Abwasserinhaltsstoffe und zusätzlich zu einem Abbau von Teilen des Belebtschlamms.
Die Folge ist, dass höher organisierte – vorzugsweise räuberische – Organismen (z.B. Rädertierchen, Wimpertierchen) verbesserte Uberlebenschancen bekommen /10/. Ihre Zahl steigt mit Beginn der Tensid-Dosierung drastisch an.
Die räuberischen Organismen benötigen viel Nahrung, denn sie verbrauchen viel Energie zum Fangen der von ihnen bevorzugten Beuteorganismen. So wird ein Großteil der verfügbaren Nahrungsenergie in CO2 – und nicht in Biomasse umgewandelt. Der überschussschlammanf all wird so auf ein niedriges Niveau gebracht. Die Steuerung des BioserveVerfahrens erfolgt mit Hilfe von Bioindikatoren (Tabelle 1).

Einsatzkriterien
für das Bioserve-Verfahren

Dosierstelle und -menge (LIPISOL)
Das LIPISOL wird direkt in die belüftete Zone der Belebungsanlage dosiert. Die tägliche Dosiermenge hängt von den betrieblichen Randbedingungen der Kläranlage ab.

Messprogramm
Im Rahmen des versuchsbegleitenden Messprogramms werden die Belastungsdaten (BSB5-, CSB-, N- und P-Frachten) der Belebungsstufe, die Uberschussschlammfraktionen, die Schlammkennwerte (TSBB, GV, ISV usw.) und die Bioindikatoren (Tabelle 1) im Rahmen wöchentlich durchgefübrter mikroskopischer Belebtschlammuntersuchungen erfasstDie Beobachtung der Bioindikatoren soll Aufschluss darüber geben, inwieweit sich durch das Bioserve-Verfahren Veränderungen hinsichtlich der Parameter Schlammbelastung, 5 auerstoffversorgung und Schlammalter ergeben. In Tabelle 1 ist schematisch dargestellt, welche Mikroorganismen als Bioindikatoren für die Schlammbelastung, die Sauerstoffversorgung und das Schlamm-alter herangezogen werden können. In den ersten beiden Versuchswochen des Bioserve-Verfahrens werden sich hauptsächlich die Bioindikatoren Schlammbelastung und Sauerstoff verändern (1. und 2. Spalte). Die Schlammalter-Bioindikatoren (3. Spalte) verändern sich meist ab der dritten Versuchswoche, wenn das Schlammabzugsregime modifiziert wurde.

Überschussschlamm Abzugsregime
Nach Dosierbeginn (LIPISOL) ist das Schlammabzugsregime zunächst unverändert beizubehalten (z. B. Einstellung auf ein Schlammalter von 12 Tagen). Die Bioindikatoren für Schlammalter, Schlammbelastung und Sauerstoffversorgung werden parallel beobachtet und dokumentiert. Sobald sich eine ausreichend große Anzahl höher organisierter Mikroorganismen (Mehrzeller) im System eingestellt hat, ist der Schlammabzug schrittweise – z.B. um 5 % je Woche – zu reduzieren.

Ergebnisse großtechnischer Betriebsversuche

Anwendungen in der Praxis
Mittlerweile liegen umfangreiche Betriebsergebnisse mit dem Bioserve-Verfahren auf verschiedenen Kläranlagen mit unterschiedlichen abwassertechnischen Randbedingungen vor (Tabelle 2), die die Wirkung der Tensid-Dosierung hinsichtlich der Reduzierung der biologischen Überschussschlamm-Reduktion belegen. Die Auswirkungen des Bioserve-Verfahrens auf die Kläranlagenbetriebsdaten wurden jeweils ab dem Zeitpunkt der Erstdosierung fortlaufend dokumentiert und mit dem korrespondierenden Vergleichszeitraum (Referenzzeitraum ohne Bioserve-Verfahren) unter Einbeziehung der abwassertechnischen Randbedingungen verglichen. Bei der Ermittlung des reduzierten biologischen Uberschussschlammanfalls hat sich die Technik der Massenbilanzierung als geeignetes Instrument herausgestellt und zwar unabhängig davon, ob der Wirknachweis des Bioserve-Verfahrens im Vorher/Nachher-Vergleich
• über die spezifische biologische Uberschussschlammproduktion oder
• über die absoluten biologischen Überschussschlammmassen
geführt wird.
Welche Vorgehensweise sinnvoll ist, hängt von den zur Verfügung stehenden Betriebsdaten und der B elastungssituation der biologischen Stufe (Einzelfall-betrachtung) im Vorher/Nachher-Vergleich ab. Die Führung des Wirknachweises über die absoluten biologischen Überschussschlammmassen kann dann erfolgen, wenn Zulauffrachten und die Feststoffgehalte in der Belebung (gleiche Schlammbelastung) sowohl im Referenz- als auch im Versuchszeitraum nahezu identisch sind. Beide Vorgehensweisen führen letztendlich im Ergebnis zu einer Aussage über den reduzierten biologischen Uberschussschlamm (t TS) im betrachteten Zeitraum.
Erste Erfahrungen mit dem BioserveVerfahren konnten bereits im Jahr 2002 auf den Kläranlagen in Neuss-Süd und in Lemke gewonnen werden /11, 12/. Bei beiden Kläranlagen konnte der tägliche Schlammzuwachs deutlich reduziert werden (Tabelle 2). Die Reduktion des täglichen Schlammzuwachses geht zwangsläufig mit einer Erhöhung des Schlamm-alters einher, so dass die Wirkung des Bioserve-Verfahrens anhand dieses Zusammenhanges nachgewiesen werden kann, wie nachfolgend am Beispiel der Kläranlage Neuss-Süd erläutert wird.
Die Implementierung des Bioserve-Verfahrens auf der Kläranlage Neuss-Süd erfolgte am 17. Mai 2002. Nach der zweiten Versuchswoche wurde das Schlammabzugsregime (Steuerung über Bioindikatoren, Tabelle 1) dahingehend abgeändert, dass die abgezogene Überschussschlamm-Feststoffmasse von Woche zu Woche um 5 % reduziert wurde. Durch das Bioserve-Verfahren wurde das Schlammalter im Betrachtungszeitraum Mai bis 31. Oktober 2002 von rund 12 auf 17 Tage erhöht. Der Feststoffgehalt in der Belebung konnte hierbei nahezu konstant gehalten werden. Bei annähernd gleicher BSB5-Fracht bedeutet dies, dass auch die Schlammbelastung annähernd konstant ist. Die in Bild 5 dargestellten Kurvenverläufe müssen sich einstellen, wenn das Bioserve-Verfahren wirksam wird, da hier der tägliche Schlammzuwachs reduziert wird und dies nicht zu einem Anstieg des Feststoffgehalts in der Belebung führt. Ohne Tensid-Dosierung würde eine Reduzierung des täglichen Schlammabzugs in bekannter Weise bei ansteigendem Schlamma.lter zwangsweise bei gleicher BSB5-Fracht zu einer Erhöhung des Feststoffgehalts in der Belebung mit einhergehender Reduzierung der Schlammbelastung führen. Der konventionelle Begriff der Schlammbelastung – berechnet als tägliche BSB5-Fracht dividiert durch die gesamte Feststoffmasse in der Belebung – ist somit nicht aussagekräftig und daher nicht hilfreich im Zusammenhang mit dem Bioserve-Verfahren. Sinnvoller wäre der Ubergang zum Begriff „aktive“ Schlammbelastung
– berechnet als tägliche BSB5-Fracht dividiert durch die „aktive“ gesamte Feststoffmasse in der Belebung, da das Bioserve-Verfahren den Anteil der aktiven Biomasse im System – nicht zuletzt durch die bessere Sauerstoffversorgung
– erhöht. Dann trifft auch die Aussage wieder zu „Das Schlammalter wird erhöht, die aktive Schlammbelastung nimmt ab“.
Aus Tabelle 2 geht hervor, dass bei den bisher untersuchten Kläranlagen Uberschussschlamm-Reduktionsraten zwischen 20 und 37,5 % festgestellt wurden. Die Untersuchungen sowie theoretische Betrachtungen lassen vermuten, dass die Wirkung des Bioserve-Verfahrens sich nicht ausschließlich auf die Reduktion des biologischen Uberschussschlamms erstreckt, so dass weitere Einsparpotenziale und die Erhöhung der Prozessstabilität als Sekundäreffekte denkbar sind. Hierzu zählen z.B. die Verminderung von Trübwasserrückbelastungen durch geringere Betriebszeiten der Entwässerungsaggregate, die Einsparung von Fällmitteln durch Erhöhung des Schlammalters bedingt durch die Erhöhung der mittleren Fällmittel-Verweilzeit im System, das Freischalten von Beckenkapazitäten durch Erhöhung der aktiven Biomasse und die Verbesserung der Schlammstruktur (ISV) sowie eine Verminderung der Blähschlammproblematik. Die Quantifizierung dieser Sekundäreffekte ist Gegenstand weiterer Forschungsaktivitäten.

Tabelle 2

Wirtschaftlichkeit des Bioserve-Verfahrens
Der reduzierte biologische Überschussschlamm (t TS) bildet die Grundlage für die Vergütung des Bioserve-Verfahrens. Die Vergütung des Verfahrens erfolgt somit auf einer rein erfolgsorientierten Basis. Bei der Preisbildung sind die spezifischen Randbedingungen der Kläranlage (Schlammbehandlungs- und -entsorgungskosten) mit einzubeziehen, so dass für beide Seiten – Betreiber und Bioserve GmbH – ein signifikanter Ertrag erwirtschaftet werden kann. In der Praxis gestaltet sich die Kostenanalyse nicht immer einfach, da Betreiber von Kläranlagen nicht immer ohne Weiteres in der Lage sind abzuschätzen, ob ihre aktuellen Kosten für Schlammbehandlung und -entsorgung je Tonne TS Über schussschlamm unter- bzw. oberhalb des avisierten Vergütungsbetrages liegen. Der Vergütungsbetrag ist hierbei nicht von den Entsorgungskosten abhängig, sondern von der Produktzusammensetzung und -menge (LIPISOL) und dem Betreuungsaufwand und liegt in Abhängigkeit von den spezifischen Randbedingungen der jeweiligen Kläranlage im Bereich von 125 bis 150 Euro je reduzierter Uberschussschlamm-Feststofftonne. Bei den in Tabelle 2 aufgeführten Kläranlagen (25.000 bis 65.000 EW) ergaben sich Einsparpotenziale im Bereich von 14.000 bis 32.000 Euro/a. Die Ermittlung der Einsparpotenziale basiert auf den jeweils anzusetzenden Entsorgungs- und Konditionierungsmittelkosten ohne Berücksichtigung der monetären Vorteile für den Betreiber durch die Sekundäreffekte des Bioserve-Verfahrens. Die Vergütung des Bioserve-Verfahrens ist hierbei bereits berücksichtigt.

Zusammenfassung und Ausblick

Das Bioserve-Verfahren bietet den Betreibern von kommunalen und industriellen Kläranlagen die Möglichkeit, den Uberschussschlammanfall zu reduzieren. Die Wirkmechanismen der beim Bioserve-Verfahren eingesetzten Tenside (LIPISOL) sind im Wesentlichen auf die Herabsetzung des Transportwiderstanqes der Zellmembran, die Koaleszenzhemmung der Luftblasen, die Dipergierung der nicht mischbaren C-Verbindungen (Fette) und die Zerstörung der Zellmembran an der Dosierstelle zurückzuführen. Bei der Anwendung des Verfahrens sind einige verfahrenstechnische Voraussetzungen zu beachten. Dies sind:
• Das LIPISOL ist direkt in die belüftete Zone der Belebungsanlage zu dosieren. Die tägliche Dosierung kann von Kläranlage zu Kläranlage unterschiedlich ausfallen.
• Nach Dosierbeginn ist das Schlammabzugsregime zunächst unverändert beizubehalten (z. B. Einstellung auf ein Schlammalter von 12 Tagen).
• Mit der Reduzierung des Schlammabzugs (schrittweise) ist erst zu beginnen, sobald sich eine ausreichend große Anzahl höher organisierter Mikroorganismen (Mehrzeller) im System eingestellt hat.
• Die Steuerung des Bioserve-Verfahrens erfolgt anhand der Bioindikatoren für die Parameter: Schlammalter, Schlammbelastung und Sauerstoffversorgung.

Bild 5 Kläranlage Neuss-Süd:
Schlammalter und Feststoffgehalt in der Belebung.
Mai bis Oktober 2003

Das Bioserve-Verfahren wurde im Rahmen großtechnischer Untersuchungen inzwischen auf mehreren Kläranlagen angewandt. Hier konnten Uberschussschlamm-Reduktionsraten im Bereich von 20 bis 37,5 % mit entsprechenden monetären Vorteilen (14.000 bis 32.000 Euro/a) für die Kläranlagenbetreiberfestgestellt werden.
Die durchführten Untersuchungen sowie theoretische Betrachtungen lassen vermuten, dass die Wirkung des Bioserve-Verfahrens sich nicht ausschließlich auf die Reduktion des biologischen Uberschussschlamms erstreckt, so dass weitere Einsparpotenziale und Erhöhung der Prozessstabilität als Sekundär-effekte denkbar sind.
Auch ist eine Kopplung des Verfahrens mit anderen klärschlammreduzierenden Verfahren im Faulungsprozess – wie z. B. Ekolution-Verfahren /4/, Enzym-Zugabe /13/, oder Desintegration /14/ – möglich. Die entsprechenden Nachweise müssen in weiteren Forschungsvorhaben noch geführt werden.

Kontakt
Dr.-Ing. Jörg STRUNKHEIDE
IWB Institut Wasser und Boden e. V.
Oelgartenstraße 18 . 53757 Sankt Augustin
TeI.: 02241/341087 Fax: 02241/334042
E-Mail: IWB-mail@t-online.de
www.iwb-bonn.de

Literatur:
/1/ Aktuelle Klärschlammengen und -qualitäten sowie ihre Entsorgungswege in Deutschland, ATV Infobase Abfall, www.atv.de
/2/TA Siedlungsabfall: Dritte allgemeine Verwaltungs-vorschrift zum Abfallgesetz Technische Anleitung zur Verwertung, Behandlung und sonstigen Entsorgung von Siedlungsabfällen vom 14.05.1993
/3/ Qesetz~zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen (KrW-/AbfG) vom 27.09.1994
/4/ Strunkheide, J.; Littmann, R.: Klärschlammreduzierung mit Hilfe des Ekolution-Verfahrens am Beispiel der Kläranlage Moosburg a.d. Isar. In: wwtlawt, 7/8, 2003
/5/ Steber, J.: Umweltverträglichkeit der Tenside in Wasch-, Spül- und Reinigungsmitteln, Henkel Waschmittel GmbH, Düsseldorf, 2000 (unter www.theoprax.de)
/6/ Kosswig, K.; Stache, H.: Die Tenside. – In: Carl Hanser Verlag München Wien, 1993, S. 484
/7/Tsao, G. T.; Mukerjee, A.; Lee, Y. Y.: Gas-liquid-cell oxygen absorption in fermentation, Ferment. Technol, Today, pp. 65-71, 1972
/8/ Zlokarnik: Koaleszenzphänomene im System gasförmig/flüssig und deren Einfluss auf den D2-Eintrag
bei der biologischen Abwasserreinigung. – In: KA – Korrespondenz Abwasser, 11, 1980, 5. 728-734
/9/ Wagner: Einfluss oberE lächenaktiver Substanzen auf Stoffaustauschmechanismen und Sauerstoff eintrag, Dissertation, TH Darmstadt, Schriftenreihe WAR Nr. 53, Darmstadt (1991)
/10/Eikelboom D. H.; van Buisen, H. J. J.: Microscopic sludge investigation manual. IMG-TNO Report Nr. A 94a, TND DeIft, 1983, The Netherlands
/11/ Strunkheide, J.: Überschussschlamm-Reduzierung durch den Einsatz von Tensiden, Vortrag anlässlich der 3. Klärschlammtage d.er ATV-DVWK, 5-7. Mai 2003, Würzburg
/12/Strunkheide, J.; Witte, H.: Gutachten zur Überschussschlamm-Reduzierung mit Hilfe des Bioserve-Verfahrens am Beispiel der Kläranlagen Neuss-Süd und Lemke, März 2003
/13/Burbaum, H,; Dickmann, Th.; K~ry, K.; Pascik, 1, Radermacher, H.: Biokatalytische Verbesserung der Klärschlammfaulung durch Enzyme. – In: KA – Korrespondenz Abwasser, 8, 2002, 5. 1100-1119
/14/ Dichtl, N.: Verfahrenstechnische Möglichkeiten und Kosten bei Minimierung des Klärschlammanfalls. Vortrag im Rahmen der Essener Tagung vom 20. bis 23. März 2002, Band 27, 5. 70/1-10/14